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Montag, August 16, 2010

Ganz schnelle Denkmalpflege?

In einem Positionspapier zur (ehemals) denkmalgeschützten Woseriner Kopfsteinpflasterstraße, das Aussagen der unteren Denkmalbehörde und des Amtes Sternberger Seenlandschaft enthält, ist erstaunliches zu lesen (unsere Fragen bzw. Anmerkungen folgen jeweils in kursiver Schrift):

Durch das Landesamt für Denkmalpflege des Landes M-V ist mit Schreiben vom 04.12.2001 die Aufnahme der Pflasterstraße in die Denkmalliste befürwortet worden.

Warum nur befürwortet und nicht entschieden?

Die Gemeinde Borkow hat die Aufnahme der Straße in die Denkmalliste mit Schreiben vom 28.01.2002 abgelehnt.

Aber die Einstufung als Denkmal unterliegt nicht dem gemeindlichen Einvernehmen!

Aufgrund eines Gutachtens vom 14.08.2001 durch das Ingenieurbüro INFRAPLAN hat die untere Denkmalschutzbehörde des Landkreises Parchim das Einvernehmen zur Aufnahme der Straße in die Denkmalliste des Landkreises Parchim versagt.

Das Gutachten des Ingenieurbüros INFRAPLAN basiert auf der Anwendung von für Pflasterstrassen ungeeigneten Messverfahren zur Ermittlung der Tragfähigkeit und darf daher zur Entscheidungsfindung nicht herangezogen werden.

Durch Entscheid des Ministeriums für Wissenschaft und Kultur des Landes M-V sei die Aufnahme der Lindenstraße (Pflasterstraße) beginnend am ehemaligen Pfarrhaus in Woserin bis zum Abzweig zum Gutshaus am 19.09.2002 in die Denkmalliste erfolgt.

Hier geht es ganz schön durcheinander zwischen unterer und oberer Denkmalpflegebehörde: Die untere Behörde versagt und die obere nimmt auf?!

Am 20.06.2003 ist eine Variantenprüfung zur Erneuerung der Pflasterstraße eingereicht worden, wobei eine Reparatur vom Landesamt für Denkmalpflege favorisiert wurde.

Eine erfreuliche Entscheidung. Allerdings ist diese Variatenprüfung bislang weitgehend unbekannt. Wer hat sie in Auftrag gegeben, wer sie erarbeitet?

Am 13.10.2003 hat das Landesamt für Denkmalpflege vom Amt Sternberger Seenlandschaft ein erneutes Gutachten zum Straßenbau erhalten. In dessen Folge hat das Landesamt für Denkmalpflege auf den Erhalt der Straße verzichtet. Diese Feststellung des Landesamtes für Denkmalpflege vom 14.10.2003 ist dem Verein zur Kenntnis gegeben worden.

Die Abkehr von der vorherigen Haltung (pro Denkmal) und eine Entscheidung zum genauen Gegenteil innerhalb eines Tages ohne Anhörung des Vereins scheint uns einer sachgerechten Entscheidungsfindung nicht angemessen.

Auch hier ergibt sich die Frage, warum dieses Gutachten dem Verein und anderen Interessierten nicht bekannt ist (nicht bekannt sein darf?). Wer hat es erstellt, worin bestehen seine offenbar so überzeugenden Argumente, dass die Behörde in weniger als 24 Stunden ihre Entscheidung ändert? Ein Schelm, der jetzt an eine unlängst ausgestrahlte Folge einer ZDF-Seifenoper denkt, in der ein Denkmalpfleger in genau so atemberaubender Geschwindigkeit seine – unangemessene – Entscheidung traf.

Am 22 10.2003 hat das Amt Sternberger Seenlandschaft den Antrag auf denkmalrechtliche Genehmigung für die Erneuerung der Pflasterstraße gestellt. Die Gemeinde hat am 23.10.2003 die denkmalrechtliche Genehmigung zum Neubau der Straße in Asphaltbauweise erhalten. Diese Genehmigung vom 23.10.2003 ist weiterhin gültig, da es nach dem DSchG M-V keine Befristung der Genehmigung gibt.

Die atemberaubende Entscheidungs-Fähigkeit hält an: am 22. Oktober stellt das Amt den Antrag und schon einen Tag später wird er zugunsten der Asphaltstraße entschieden.

Im Rahmen der Beteiligung der Träger öffentlicher Belange zum Neubau der Straße im März 2009 ist erneut eine positive Stellungnahme von Seiten des Landesamtes für Kultur und Denkmalpflege erfolgt. Mit vollständiger Umsetzung des Straßenneubaus erfolge dann die Löschung des Straßenbereiches aus der Denkmalliste des Landkreises Parchim.

Das ist ja nun nicht mehr verwunderlich. Das Land „entledigt“ sich eines weiteren Denkmals. Wenn M-V nicht einmal so sensationelle Funde wie die Stralsunder „Urboote“ zu erhalten vermag, was soll uns dann eine Pflasterstraße?!

Die Genehmigung der Denkmalschutzbehörde bedeute nicht, dass die Gemeinde diese Genehmigung in Anspruch nehmen müsse. Verzichte die Gemeinde auf den Ausbau der Pflasterstraße, z. B. aus finanziellen Erwägungen, weil keine Fördermittel zur Verfügung stünden, betehe der Denkmalschutz für diese Pflasterstraße weiter.

Aha: Denkmalschutz nur dann, wenn es keine Fördermittel gibt. Geht da nicht etwas verquer? Sollte nicht auch Denkmalschutz förderfähig sein?

Unabhängig davon, wie die Gemeinde die Straße erneuern wolle, müsse das Pflaster aufgenommen werden, um den vorhandenen Unterbau für die erforderliche Belastbarkeit der Straße zu ertüchtigen. Damit gehe die Denkmaleigenschaft der Pflasterstraße verloren.

Auch merkwürdig: Wenn man ein Denkmal instandsetzt, geht seine Denkmaleigenschaft verloren? Im Internet fand ich folgenden Text: „Ich muss zur Zeit eine Facharbeit im Fach Kunstgeschichte schreiben... Mein Thema lautet: DENKMAL FRAUENKIRCHE DRESDEN - WAR DER WIEDERAUFBAU SINNVOLL?“ Die Arbeit kann kurz ausfallen, wenn der Schüler sich die hiesige denkmalpflegerische Sicht zu eigen macht...

Allerdings gibt es auch andersartige Auffassungen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft unabhängiger Denkmal- und Altbauinspektionsdienste in Deutschland [BAUDIT] hat in ihrer Resolution von Leipzig (2004) 12 Leitlinien für den Denkmalschutz formuliert. Die erste davon lautet: „Prävention steht vor Erneuerung bzw. Rekonstruktion“. Was beinhaltet, dass auch Erneuerung oder Rekonstruktion nicht a priori die Denkmaleigenschaft in Frage stellt!

Posted by Dr. Günter Hering at 10:38
Edited on: Mittwoch, März 14, 2012 11:07
Categories: Pflasterstrassen